Quo Vadis Kernenergie in Deutschland?
600 Teilnehmer, 70 Fachvorträge, 3 Tage Programm (inklusive „Gesellschaftsabend“ und „Bankett mit Science Slam“): Die Tagung „Kerntechnik 2024“ in Leipzig war eine Branchenschau erster Güte. Neben der Industrie war auch die Forschung und die Politik vertreten – und ich.
Die Initiatoren hatten mich eingeladen, um einen Vortrag über die Ideen und Fortschritte von Copenhagen Atomics zu halten. Mein Slot war an Tag 1 kurz vor der letzten Kaffeepause und dem Auftritt des deutschen Comedian Vince Ebert, der dann in den geselligen Teil des Abends mündete.
Das Erlebnis dieser Tagung ließ mich eben durchaus skeptisch über jene Frage nachdenken: „Wohin steuert die Kernenergie in Deutschland“ – denn mir schien: Deutschland steuert rückwärts.
Die Reaktionen auf meinen Vortrag allerdings stimmten mich wieder zuversichtlich.
Kernenergie 2024 – Der Weg zurück
„Seit der vergangenen Tagung in 2022 hat sich in der Welt der Kerntechnik einiges bewegt, beschleunigt von der Energiekrise, die damals im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. In nur zwei Jahren hat die Kernenergie gerade in Europa einen starken Schub Richtung konkreter Projekte und Realisierung erhalten.“, so Dr. Thomas Behringer (Geschäftsführer INFORUM) und Nicole Koch (Koordination KERNTECHNIK 2024) in ihrem Vorwort zum Programm der Tagung.
Eine spannende und Hoffnung machende Ankündigung, finde ich.
Allerdings war dann mein Eindruck, dass es bei der Tagung vor allem um Fragen des Strahlenschutzes geht – und das mit einem negativen Fokus. Die Branche scheint davon zu leben, dass Radioaktivität verhindert werden muss. Das Geld wird mit Rückbau verdient, dem Abbau von Kernanlagen.
Die Haltung der Tagenden schien mir in einem bedeutenden Umfang rückwärts gewandt: Weil sie die ideologischen Grenzen, die in der Vergangenheit festgelegt wurden, in denen Kerntechnik stattzufinden hat, als Basis der eigenen Arbeit akzeptieren. Die Zukunft der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist demnach die, dass es keine friedliche Nutzung der Kernenergie mehr gibt. So eine Art Wall-E-Strategie: Es wird nur noch aufgeräumt.
Deutschland war einmal führend in der Technik der Kernkraft und – auch dies macht diese Tagung deutlich – das hohe Know-how ist immer noch vorhanden.
Leider wird sehr viel Wissen- und Technologie-Power vor allem in den Strahlenschutz und den Abbau von bestehenden Kernreaktoren gesteckt: Was könnte hier nicht alles möglich sein, wenn die Branche zukunftszugewandter wäre?
Kernenergie 2024 – Der Weg nach vorn
Aber ich versprach Ihnen ja Zuversicht …
Spannend war am Tag 3 die Keynote von Wojciech Wrochna, der die Entwicklung der Kernkraft in Polen thematisierte und den Ehrgeiz und das Engagement Polens bei der Entwicklung kleiner modularer Kernreaktoren deutlich machte. Hier tut sich was.
Spannend waren an Tag 1 auch die Reaktionen auf meinen Vortrag um 17.30 Uhr, dessen positive und aus meiner Perspektive nach vorne in die Zukunft gewandte Ausrichtung ich schon ein wenig als Kontrapunkt des gesamten Tages erlebte. Vor einem so kundigen Publikum zu stehen, machte mir viel Freude. Die Fragerunde nach meinen Ausführungen war interessant, recht lebhaft und wohlwollend. Und tatsächlich kamen mehrere interessierte Zuhörer auf mich zu, um über mögliche Kooperationen zu sprechen.
Eine dieser Kooperationenwürde auf Ebene der Europäischen Union stattfinden – und zwar im Rahmen eines Forschungsprojektes zu kleinen modularen Reaktoren. Das wäre ein sehr interessanter Schritt nach vorne.
Und dann hat sich herausgestellt, dass das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein Budget dafür hat, ein Forschungsprojekt zu Salzschmelzereaktoren zu finanzieren. Und Copenhagen Atomics könnte – so das Ergebnis eines Gesprächs – Teil dieser Forschung werden. Immens spannend. Weil ich mit so einer Möglichkeit hier in Deutschland nicht gerechnet hätte.
Also mal schauen, ob aus diesen Gesprächen etwas wirklich Spruchreifes und Vertragsträchtiges entsteht, wie in der Schweiz. Ich lasse mich gerne von Möglichkeiten überraschen, mit denen ich nicht rechne. Mein Blick geht zuversichtlich nach vorne …
Ihr Wilfried Hahn