Steven Pinker Aufklärung jetzt
In seinem Buch „Aufklärung jetzt“ verteidigt Steven Pinker die Ideen und Werte der Aufklärung, einer Periode der intellektuellen und kulturellen Geschichte, die im 18. Jahrhundert in Europa stattfand und sich auf andere Teile der Welt ausbreitete. In dem Buch argumentiert Pinker, dass die Aufklärungswerte von Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt zu signifikanten Verbesserungen im Wohlergehen und in der Lebensqualität der Menschen geführt haben und dass diese Werte aufrechterhalten und gefeiert werden sollten.
Pinker präsentiert eine Reihe von Argumenten und Beispielen, um seinen Fall zu unterstützen, darunter Daten zu verschiedenen Indikatoren für den menschlichen Fortschritt wie Lebenserwartung, Alphabetisierungsrate und Wirtschaftswachstum. Er beschreibt auch, wie Aufklärungswerte zu sozialen und politischen Veränderungen beigetragen haben, wie zum Beispiel der Abschaffung der Sklaverei, der Ausweitung der Demokratie und dem Schutz individueller Rechte.
Insgesamt ist Pinkers Buch ein Aufruf, die Ideen und Werte der Aufklärung zu verteidigen und zu fördern, die er als unerlässlich für die weitere Verbesserung der menschlichen Gesellschaft sieht.
Zitate aus seinem Buch :
Was ist Aufklärung? In einem Essay von 1784 mit dieser Frage im Titel lautete Immanuel Kants Antwort, sie sei »der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«, der aufgrund von »Faulheit und Feigheit« erfolgten Unterwerfung unter die »Satzungen und Formeln« religiöser oder politischer Autoritäten.[4] Wie er verkündete, gilt als Wahlspruch der Aufklärung: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«,
Viele Autoren der heutigen Zeit verwechseln die für die Aufklärung typische Verfechtung der Vernunft mit der unglaubwürdigen Behauptung, Menschen seien durch und durch rationale Akteure. Nichts könnte von den historischen Tatsachen weiter entfernt sein. Denker wie Kant, Baruch de Spinoza, Thomas Hobbes, David Hume und Adam Smith waren wissbegierige Psychologen und sich unserer irrationalen Leidenschaften und Schwächen nur allzu sehr bewusst. Sie unterstrichen, dass unsere Torheiten allein durch die Offenlegung ihrer allgemein verbreiteten Ursachen zu überwinden seien. Die bewusste Nutzung der Vernunft war gerade deshalb unumgänglich, weil unsere üblichen Denkschemata nicht gerade rational sind.
Sinn des Lebens
Die faszinierendste Frage, mit der ich mich jemals auseinandersetzen musste, wurde mir im Anschluss an einen Vortrag gestellt, in dem ich den unter Wissenschaftlern bekannten Gemeinplatz erläutert hatte, das geistige Leben bestehe aus Aktivitätsmustern im Hirngewebe. Eine Studentin im Auditorium meldete sich und fragte: »Warum soll ich überhaupt leben?« Ihr unbefangener Tonfall offenbarte, dass sie weder Selbstmordgedanken hegte noch sarkastisch war, sondern ernsthaft daran interessiert, herauszufinden, worin Sinn und Zweck des Lebens bestehen, wenn traditionelle religiöse Glaubensinhalte durch bestens fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage gestellt werden. Mein Motto lautet, dass es keine dummen Fragen gibt, und zur Verblüffung von Studentin, Zuhörerschaft und vor allem mir selbst brachte ich eine halbwegs achtbare Antwort zustande. Soweit ich mich noch erinnern kann – sicherlich verbrämt durch die Verzerrungen der Erinnerung und die Neigung, Dinge im Nachhinein etwas aufzuhübschen, lautete sie etwa folgendermaßen: Allein schon Ihre Frage zeigt, dass Sie nach Vernunftgründen für Ihre Überzeugungen suchen, was bedeutet, dass die Vernunft Ihr Mittel der Wahl ist, um herauszufinden und zu rechtfertigen, was Ihnen wichtig ist. Und es gibt wahrhaft viele Vernunftgründe, um zu leben! Als ein empfindungsfähiges Wesen besitzen Sie das Potential, sich weiterzuentwickeln und zu entfalten. Sie können Ihren Verstand selbst durch Lernen und Diskutieren schärfen. Die Naturwissenschaften bieten Ihnen Erklärungen der natürlichen Welt und die Geistes- und Humanwissenschaften Erkenntnisse über die menschliche Existenz. Sie können Ihre Fähigkeit, Genuss und Zufriedenheit zu empfinden, voll ausschöpfen; diese Fähigkeit hat auch schon Ihren Vorfahren ermöglicht, das Beste aus ihrem Leben zu machen, und letztlich auch Ihnen das Leben geschenkt. Sie können Schönheit und Reichtum der natürlichen und kulturellen Welt wertschätzen. Als Erbe der Milliarden Jahre, in denen sich das Leben ständig selbst erneuert hat, können auch Sie Ihrerseits den Fortbestand des Lebens sichern. Sie verfügen über Mitgefühl –, die Fähigkeit zu mögen, zu lieben, zu respektieren, zu helfen und freundlich zu sein – und Sie können im Austausch mit Freunden, Verwandten und Kollegen die Gabe der Mitmenschlichkeit genießen. Und weil die Vernunft Ihnen sagt, dass nichts davon ausschließlich Ihnen zuteilwird, haben Sie die Verantwortung, anderen das zu geben, was Sie auch für sich selbst erwarten. Sie können das Wohlergehen anderer empfindungsfähiger Wesen befördern, indem Sie für ein Mehr an Leben, Gesundheit, Wissen, Freiheit, Wohlstand, Sicherheit, Schönheit und Frieden sorgen. Die Geschichte zeigt: Dadurch, dass wir uns in andere hineinversetzen und unseren Verstand nutzen, um die menschliche Existenz zu verbessern, können wir Fortschritt bewirken, und Sie können dazu beitragen, dass dieser Fortschritt anhält.
Die Ideale der Aufklärung sind Produkte der menschlichen Vernunft, doch liegen sie zugleich in stetem Widerstreit mit anderen Wesenszügen des Menschen: Loyalität gegenüber der eigenen Sippe, Achtung vor Autoritäten, magischem Denken, bei Ungemach Suche nach Übeltätern, denen man die Schuld zuweisen kann.
Optimismus (in dem von mir vertretenen Sinn) ist die Theorie, dass jegliches Versagen – jegliches Übel – auf unzureichendem Wissen beruht. … Probleme sind unausweichlich, weil unser Wissen nie auch nur im Entferntesten vollständig sein wird. Manche Probleme sind gewaltig, aber man sollte keineswegs gewaltige Probleme mit Problemen verwechseln, die wahrscheinlich unlösbar sind. Probleme lassen sich lösen, und jedes einzelne Übel ist ein lösbares Problem. Eine optimistische Zivilisation ist offen und ohne Angst vor Erneuerung, und sie gründet sich auf überlieferte Kritik. Ihre Institutionen verbessern sich fortlaufend, und das wichtigste ihnen innewohnende Wissen ist die Kenntnis, wie sich Irrtümer aufspüren und beseitigen lassen.[6]
Für die Denker der Aufklärung zeigte das Entrinnen aus Ignoranz und Aberglauben, wie fehlgeleitet unsere gängigen Meinungen sein können und dass die Verfahren der Wissenschaft – Skeptizismus, Fallibilismus, offene Diskussion und empirisches Testen – ein Paradigma zum Erlangen verlässlichen Wissens sind. Dieses Wissen beinhaltet auch, dass wir uns selbst verstehen. Das Bedürfnis nach einer »Wissenschaft vom Menschen« war ein Thema, das Denker der Aufklärung verband, die sich ansonsten in vielem uneins waren, darunter Montesquieu, Hume, Smith, Kant, Nicolas de Condorcet, Denis Diderot, Jean-Baptiste d’Alembert, Jean-Jacques Rousseau und Giambattista Vico. Ihre Überzeugung, dass es so etwas wie eine universelle menschliche Natur gebe, die sich wissenschaftlich untersuchen lasse, machte sie vorzeitig zu Fachleuten von Wissenschaften, die erst Jahrhunderte später einen Namen erhalten sollten.[12] Sie waren kognitive Neurowissenschaftler, die versuchten, Denken, Emotionen und Psychopathologie mit physikalischen Mechanismen des Gehirns zu erklären. Sie waren Evolutionspsychologen, die danach strebten, Leben im Naturzustand zu beschreiben und die animalischen Instinkte zu bestimmen, die wir »in unserem Herzen tragen«. Sie waren Sozialpsychologen, die über die moralischen Empfindungen schrieben, die uns einen, über die eigensüchtigen Leidenschaften, die uns trennen, und die Schwächen der Kurzsichtigkeit, die unsere besten Pläne zunichtemachen. Und sie waren Kulturanthropologen, die die Berichte von Reisenden und Entdeckern nach Daten über menschliche Universalien und die Vielfalt der Sitten und Gebräuche in den Kulturen der Welt durchforsteten. Die Vorstellung von einer universellen menschlichen Natur bringt uns zum dritten Thema, dem Humanismus. Für die Denker des Zeitalters der Vernunft und der Aufklärung war es unabdingbar, die Ethik auf ein weltliches Fundament zu gründen, weil sie die Erinnerung an Jahrhunderte religiös legitimierten Blutvergießens verfolgte – mit Kreuzzügen, Inquisition, Hexenjagd und den Religionskriegen in Europa. Als Fundament diente, was wir heute als Humanismus bezeichnen: